06.10.2022

Religionsunterricht darf nicht neutral sein!

In den vergangenen Jahren ist ein zunehmender besorgniserregender Trend an deutschen Schulen zu beobachten: Immer häufiger ziehen sich Lehrer*innen auf das vermeintliche „Neutralitätsgebot“ des Beutelsbacher Konsenses zurück. Sie positionieren sich nicht mehr zu politischen Themen, wie dem Ukraine-Krieg, den Coronamaßnahmen oder der Klimakrise und ziehen sich auf eine moderierende Haltung zurück. Insbesondere die von der AfD eingerichteten „Meldeportale“, in denen sich Schüler*innen und Eltern anonym über Lehrpersonal beschweren können, haben viele Lehrer*innen verunsichert. Dabei fordert der Beutelsbacher Konsens kein Neutralitätsgebot, sondern verbietet lediglich die Indoktrinierung der Schüler*innen und tritt für ein Kontroversitätsgebot ein, nachdem das „was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, […] auch im Unterricht kontrovers erscheinen [muss].“. Dass sich Lehrer*innen nicht positionieren dürfen, ist also explizit keine Forderung des Beutelsbacher Konsenses.

Auch wenn der Beutelsbacher Konsens ursprünglich nur für die politische Bildung formuliert wurde, gibt es in unterschiedlichen Fachdidaktiken Auseinandersetzungen mit ihm. Vor diesem Hintergrund wurde im März 2022 eine religionspädagogische Fachtagung von der Kommende Dortmund und der TU Dortmund in Schwerte organisiert, die anhand konkreter und gesellschaftlicher Themen religiöser Bildung (Ökonomie, Ökologie und Antisemitismus) die Fragen rund um Kontroversität, Positionalität und Neutralität thematisierte. Als Ergebnis der Fachtagung wurde mit dem sog. „Schwerter Konsent“ ein religionspädagogischer Beutelsbacher Konsens formuliert und publiziert.

Das deutsche Schulsystem ist mit dem französischen Schulsystem, in dem es an staatlichen Schulen keinen Religionsunterricht gibt, nicht zu vergleichen – und das ist auch gut so! Unsere Demokratie lebt von Demokrat*innen; daher ist es elementar, dass sich Jugendliche auch im Religionsunterricht an den vertretenen Positionen reiben können und so bei ihrer Meinungsbildung unterstützt werden. Deshalb gehört zum konfessionellen Religionsunterricht, dass die Lehrkräfte ihre eigene religiöse Position reflektiert in den Unterricht einbringen können.

Ob der Schwerter Konsent eine prägende Wirkung entfalten kann, hängt von der Rezeption und Diskussion um ihn ab. Er könnte Lehrer*innen jedoch Orientierung bieten in ihrer verunsichernden Situation zwischen Erziehung zu kritischer Meinungsbildung und dem Vorwurf, Schüler*innen zu manipulieren.