25.09.2020

Post-Corona: Zeit für einen Systemwechsel?

Wachstum ist der Treibstoff unserer Wirtschaft und als solches seit 1967 gesetzlich als politisches Ziel in Deutschland vorgegeben. Die deutsche Wirtschaft ist 2019 das zehnte Jahr in Folge gewachsen. Doch die Covid-19-Pandemie trifft die Wirtschaft stark. Das Bruttoinlandsprodukt ist für das 2. Quartal 2020 um 10,1 % niedriger als im Vorquartal – dieser Wert übertrifft sogar den Rückgang der globalen Finanzkrise 2009 mit -4,7 % im 1. Quartal 2009 und ist der stärkste Rückgang seit Beginn der vierteljährlichen BIP-Berechnungen. Corona hat enthüllt, wie anfällig unser derzeitiges ökonomisches System ist. Doch was wäre, wenn die Wirtschaft nach der Pandemie nicht wieder schnell und global wächst, sondern reduziert und regional handeln würde – Stichwort Degrowth?

Die Pandemie hat gezeigt, dass radikale Veränderungen mit positiven Effekten für die Umwelt in kurzer Zeit möglich sind. Ein Herunterfahren des globalen Kapitalismus, Änderung der Konsumkultur und CO2-Ersparnis durch weniger Flug- und Autoverkehr wurden lange für unmöglich gehalten. Neue Formen der Zusammenarbeit und Solidarität sind zum Vorschein gekommen. Zeigt sich hier ein Systemwechsel?

Doch dieser Corona-Degrowth hat auch seinen Preis: Insolvenzen, viele Arbeitslose, Einschränkungen von Grundrechten in liberalen Demokratien und rohstoffarme Entwicklungsländer drohen weiter abgehängt zu werden. Problematisch ist, dass der Degrowth-Effekt gezwungenermaßen und schlagartig eingetreten ist – das spricht gegen einen nachhaltigen Systemwechsel!

Aber wir haben die Gelegenheit auf den Erfahrungen der derzeitigen Degrowthphase aufzubauen und Dinge grundlegend zu ändern: Die Politik hat sich bei den jüngsten Entscheidungen auf die Wissenschaft verlassen, war mutig und hat gezeigt, dass starke Einschnitte möglich sind. Der Weg aus der Corona-Krise kann dazu genutzt werden, klimaverträgliche und nachhaltige Wirtschaftsstrukturen zu fördern. Dies gibt Hoffnung, dass ein großer klimapolitischer Aufbruch und ein damit verbundener nachhaltiger Systemwechsel möglich sind!

Charlotte Bachmair