29.04.2022

Kognitive Dissonanz im Krieg gegen die Natur

Drastische Worte fand der Generalsekretär der Vereinten Nationen Antonio Guterres bei der Veröffentlichung des jüngsten Weltklimaberichts. Sprach er schon vorher angesichts des Artensterbens vom „Krieg gegen die Natur“, warf er jetzt Regierungen und Unternehmen Verlogenheit vor: „Sie sagen das eine und tun das andere.“ Der neue Bericht sei ein „Katalog der leeren Versprechungen, die uns entschieden auf einen Pfad zu einer unbewohnbaren Erde bringen.“

Die Wahrheit zum Klimawandel ist so einfach wie dramatisch. Der Physiker Prof. Dr. Gunther Seckmeyer, Hannover, fasst sie in 20 Worten zusammen: „Er ist real. Wir sind die Ursache. Er ist gefährlich. Die Fachleute sind sich einig. Wir können noch etwas tun.“ Es gäbe also noch Hoffnung, wenn, ja wenn, wir unser Verhalten als Individuen und als Gesellschaft ändern. Nur es passiert (fast) nichts: Geleugnet wird die Wahrheit des Klimawandels nicht mehr, aber wir handeln nicht nach dieser Wahrheit. Wir sagen A und tun B. „Kognitive Dissonanz“ nennt das die Psychologie.

Sind die drastischen Worte hilfreich für den Wandel? Sie klingen verzweifelt. Im Unterton auch autoritär. Lösen sie nicht das Gegenteil aus, nochmals psychologisch: „Reaktanz“ – pubertären Trotz gegen die unbequeme Einsicht? Auch wenn es faktisch kaum noch Zeit ist, sich der Erderhitzung entgegen zu stemmen, drastische Worte stehen Verhaltensänderungen eher entgegen. So sehr sie auch bei Journalisten für ihre Schlagzeilen und öffentliche Aufmerksamkeit beliebt sein mögen.

Wie also kommen wir aus der kognitiven Dissonanz? Wie nicht nur um den Klimawandel wissen, sondern auch entsprechend handeln? Manches ist zum Einstieg in die viel beschworene Transformation gar nicht so schwierig. Z. B. das Tempolimit: Die Mehrheit der Bevölkerung ist für ein Tempolimit, sogar die Mehrheit der ADAC-Mitglieder. Nur alte Männer und FDP-Wähler – wie Studien süffisant belegen – sperren sich. Niemand müsste auf irgendetwas „verzichten“, wenn er langsamer unterwegs ist, außer beim Spaß am schnellen Fahren. Ein Tempolimit würde – neben anderen Effekten – zu Einsparungen bei den deutschen CO2-Emissionen führen, die über den jeweiligen jährlichen Ausstoß über der Hälfte der Länder der Erde liegt. Moralisch also auch eine Forderung der globalen Gerechtigkeit, oder?

Gleiches gilt analog beim Verzehr von Fleisch- und Milchprodukten. Man muss doch nicht sofort zum Vegetarier werden. Aber den Verzehr um 20 oder 50 % zu senken, hätten gesellschaftlich und ökologisch schon enorme Effekte. Und vielleicht üben wir solche kleinen Schritte einen anderen Umgang mit den Ressourcen unserer Umwelt ein. Es wären Wege aus der kognitiven Dissonanz, mehr Ehrlichkeit durch glaubwürdiges Handeln. Und wenn viele so anfangen, hätte es exponentielle und politische Wirkungen, die helfen den Klimawandel auf unter 2 Grad begrenzen.

Detlef Herbers