23.10.2025

‚Fragen Sie Ihre Töchter‘: Wie Merz soziale Linien zieht

Spätestens mit Friedrich Merz’ Bekräftigung seiner „Stadtbild“-Aussage und dem Hinweis, doch bei den eigenen Töchtern nachzufragen, wird klar: Es handelt sich nicht um einen Versprecher, sondern um ein bewusstes rhetorisches Stilmittel Doch Achtung: Es folgt dem Muster populistischer Kommunikation. Komplexe soziale Realitäten – Migration, Geschlechterrollen, Sicherheit – werden in ein emotional aufgeladenes, moralisch vereinfachtes Bild gepresst. Zugehörigkeit wird über Ausschluss konstruiert.

Politisch-ethisch problematisch ist dabei die doppelte Instrumentalisierung: Erstens wird Migration nicht als soziale Tatsache, sondern als kulturelle Bedrohung codiert. Dies verschiebt die politische Aufmerksamkeit von strukturellen Fragen – Armut, Bildung, Integration – hin zu symbolischer Identitätspolitik. Zweitens werden „die Töchter“ zur Projektionsfläche paternalistischer Schutzrhetorik. Frauenrechte erscheinen nicht als Ausdruck von Autonomie, sondern als Begründung für Abgrenzung. Das ist keine Sorge um Sicherheit, sondern Symbolpolitik.

Doch dieses Muster beschränkt sich nicht bloß die Aussage des Bundeskanzlers. Auch andere politische Akteure – von rechts bis links – greifen zu Symbolpolitik: Angstmacherei gegenüber „Überfremdung“ oder moralische Entrüstung über soziale Entwicklungen ersetzen häufig die Auseinandersetzung mit strukturellen Problemen. Ganz gleich ob es Debatten über soziale Gerechtigkeit, Wirtschaftswachstum, Rentensysteme oder Klimapolitik betrifft – zu oft werden komplexe Fragen auf emotional aufgeladene Narrative reduziert, die Zugehörigkeit über Ausschluss definieren. Sozialethisch bedeutet dies: Wer politische Kommunikation für Machtkalkül statt für Verständigung nutzt, verletzt das Prinzip ausgleichender kommunikativer Gerechtigkeit.

Schon die biblische Weisheit hält fest: „Die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8,32). Sie erinnert uns daran, dass Freiheit nicht durch Abgrenzung, sondern aus Wahrhaftigkeit entsteht. Wahrhaftigkeit bedeutet, die Komplexität der Realität anzuerkennen. Wer diese zugunsten populistischer Wirkung verzerrt, missachtet nicht nur die Wahrheit, sondern untergräbt auch die Freiheit, die aus ihr erwächst.