23.12.2020

Einsam unterm Tannenbaum

Sie kommt sehr spät, die Notbremse der Politik, dafür zieht sie jetzt voll durch. Die Kontaktbeschränkungen sind nach Monaten halbherziger Maßnahmen nun leider das geeignete Mittel, um die Corona-Pandemie wieder in den Griff zu bekommen. Das Leid der Angehörigen der täglich bis zu 900 Toten und der an CoViD Erkrankten ist nicht zu messen. Die Menschen wurden durch die zögerlichen, uneinheitlichen und sich z.T. widersprechenden Regelungen zur Eindämmung des Virus hohen Gefahren ausgesetzt.

Durch die Kurzfristigkeit und Heftigkeit der Maßnahmen droht nun eine ganz andere Form des Leids: die Einsamkeit von Menschen, die kein alltägliches festes soziales Umfeld haben. Viele konnten sich sonst in den Weihnachtstagen und dem Neujahrsfest darauf freuen, dass sie wieder Menschen begegnen, die ihnen wohlgesonnen sind. Das stand schon vor dem „harten Lockdown“ am 16. Dezember unter einem schlechten Stern und wird nun nochmal gesetzlich reduziert: Jeder Kontakt birgt eine Gefahr. Wollen wir da wirklich die Großtante einladen, deren Mann vor fünf Jahren gestorben ist? Den entfernten Bekannten, der Silvester immer dazu kommt? Sehen wir noch den freundlichen Nachbarn? Oder wechseln wir ein paar Worte mit dem Obdachlosen?

Für den „coronagerechten“ Kontakt zwischen Weihnachten und Neujahr hätte es zum einen feste Rahmenbedingungen gebraucht, mit denen sorgfältig geplant werden kann, und zum anderen niedrige Ansteckungszahlen. Die Rahmenbedingungen vom 2. November hätten zwischen dem 24. und 31. Dezember in der Hinsicht viel ermöglicht. Doch die zwischenzeitlich exponentiell wachsende Ausbreitung und damit verbunden die Belastungen für das eh schon belastete Gesundheitswesen aber waren (und sind!) zu hoch, der „harte Lockdown“ unvermeidlich. Fünf Personen aus zwei Haushalten dürfen sich seitdem treffen und es wurde zwei Tage Zeit gegeben, um alles zu besorgen, was für mindestens vier Wochen Lockdown notwendig zu sein scheint. Zeit für Weitsicht? Nein – weder im privaten, noch im politischen, noch im gewerblichen Bereich. Auch Freiwilligeninitiativen haben wenig Handlungsspielraum. Von der Solidarität, die mit den durch Einsamkeit Bedrohten gelebt und thematisiert wurde, ist jetzt wenig oder nichts zu spüren.

Die Corona-Krise und der politische Umgang mit ihr kennen viele Verlierer. Die vielen von Einsamkeit bedrohten Menschen gehören zu den größten. Die staatlich verordneten Maßnahmen führen in ihrer Kurzfristigkeit zu einem Auf-sich-selbst-schauen, was uns diese Menschen aus dem Blick verlieren lässt. Soweit hätte es nie kommen dürfen – und wir dürfen es nicht zulassen. Wir müssen auch jetzt den Kontakt zu denjenigen suchen, die wir sonst gesehen und gesprochen hätten: per Telefon, per Video oder durch Karten und Briefe.

Markus Wagner