Tagungshaus
Mehrmals muss er schlucken, als er kurz vor 19:30 Uhr den Balkon des Petersdoms betritt. Sichtlich gerührt schluckt er noch einmal. Die ersten Momente eines Pontifikats erfahren stets große Aufmerksamkeit. Ob bei Franziskus oder Leo XIV.: Die ersten Worte werden immer wieder zitiert.
Unbewusst. Beiläufig. Und doch bedeutungsvoll: das Schlucken von Leo XIV., ein kurzes Innehalten, nachdem das „Habemus Papam“ verklungen war und tosender Applaus auf dem Petersplatz aufbrandete und sich das Räderwerk an Fragen, Erwartungen und Hoffnungen in Bewegung setzte. Kann dieses Innehalten – das Sammeln, das Stocken – die erste Phase einer Amtszeit mitbestimmen? In einer Zeit permanenter Beschleunigung, innerkirchlicher Dauerkrisen und globaler sozialer Herausforderungen kann das Innehalten selbst zu einem Akt von ethischer Tragweite werden.
Papst Leo XIV. dürfte spätestens in diesem Moment die Last des Amtes gespürt haben – nicht nur als spirituelle Führungsaufgabe, sondern als Brennpunkt zahlloser struktureller Anforderungen: Globale Friedensfragen, innerkirchliche Reformen, Künstliche Intelligenz, Migration, Klimagerechtigkeit und soziale Spaltungen – all das wartet nun darauf, vom neuen Papst mit Profil bearbeitet zu werden. Und doch zeigt das Schlucken auf der Loggia: Bevor gehandelt wird, muss zugehört, muss verstanden werden. Bevor Reformen initiiert werden, braucht es Orientierung. Bevor Projekte Priorität erhalten, muss sich die Kirche selbst über ihre Rolle in einer verletzlichen Welt vergewissern.
In der katholischen Sozialethik ist die Unterscheidung der Zeichen der Zeit grundlegend. Was aber, wenn selbst die Unterscheidung unter Zeitdruck gerät? Dann braucht es ein neues Ethos der Entschleunigung – nicht im Sinne einer Passivität, sondern als Ausdruck eines verantwortlichen, hörenden, tastenden, ja: spirituell durchdrungenen Handelns.
Es ist darum gut, wenn ein glaubwürdiges Pontifikat nicht mit der Verkündigung neuer Programme, sondern mit einer Geste der Demut vor der Komplexität beginnt. Das Schlucken erinnert daran, dass auch die Kirche selbst unterbrechen muss: Routinen, Selbstverständlichkeiten, die eigene Sprechweise. Nur dann kann sie neu sprechen – und gehört werden.
Mehrmals muss Papst Leo XIV. schlucken, als er kurz vor 19:30 Uhr den Balkon des Petersdoms betritt. Das Schlucken erinnert uns daran, dass Kirche immer wieder unterbrechen muss. Nur dann kann sie neu sprechen – und gehört werden, meint Raphael Röwekamp im neuen Stand•PUNKT.
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