22.09.2022

Alles für die einen und eines für alle

Das Bundesministerium der Finanzen spricht von „schnellen und spürbaren Entlastungen in Milliardenhöhe“, die die Bundesregierung aufgrund der steigenden Preise veranlasst hat. Neben einem ersten und zweiten Entlastungspaket (Heizkostenzuschuss, Neun-Euro-Ticket u.a.) soll ein drittes folgen. Als heiß diskutiert gilt die für September 2022 aversierte sog. einmalige Energiepreispauschale von 300 Euro. Ziel ist es, diejenigen zu entlasten, denen „durch Fahrtkosten ein erhöhter Kostenaufwand in Zusammenhang mit ihrer Einkommenserzielung entsteht und die aufgrund der steigenden Preise stark belastet sind,“ so das Ministerium. Kurzum: Alle einkommensteuerpflichtigen Erwerbstätigen, ebenso Rentner, erhalten einmalig 300 Euro brutto vom Staat.

Die Meinungen darüber gehen auseinander: Führende Politiker nicht regierender Parteien oder Personen des öffentlichen Lebens sind der Auffassung, dass 300 Euro für diejenigen, die es finanziell nicht nötig hätten, weniger sinnvoll sei, statt 1000 Euro für die, die es wirklich bräuchten. Eine Frage der Gerechtigkeit?

Dabei kann unter Gerechtigkeit als ethischem Konzept sehr unterschiedliches verstanden werden. Es dürfte außerhalb der Frage stehen, dass der Sinn für Gerechtigkeit als höchste sog. Kardinaltugend nicht nur innere Einstellungen und Handlungen organisiert, sondern die Grundlage eines guten und gelingenden Lebens überhaupt ist. Um es mit Papst Franziskus zu sagen, gibt es allerdings „keine Gerechtigkeit, die auf Ungleichheit beruht.“ Die steigenden Kosten schlagen durch unterschiedliche Einkommen, Familienkonstellationen oder Lebensumstände verschieden stark ein, sodass eine breit gestreute Pauschale prima facie zwar gesellschaftlich fair und sozial ausgestaltet erscheint, jedoch hinter einem wirklichen Gerechtigkeitshandeln zurückbleibt. Mag diese politische Entscheidung dem verwaltungstechnischen Aufwand geschuldet sein, hindert sie doch niemanden nach Möglichkeit daran, das eigene Gerechtigkeitsvermögen mit diesen Voraussetzungen auszuleben.

Hannes Groß
Ethiker, Theologe, Philosoph
Direktor des Instituts für christliche Organisationskultur