Durch Angebote der Kommende Dortmund erfahren bildungsbenachteiligte Jugendliche, was Politik und Demokratie konkret mit ihrem Leben zu tun haben
Lust auf ein Gedankenexperiment? Definieren Sie in zwei bis drei Sätzen den Begriff Politik. Googeln ist verboten, auf der Wikipedia nachschauen gilt ebenfalls nicht. Sie haben eine Minute. Ab jetzt. Die Zeit läuft.
… achtundfünfzig, neunundfünfzig, sechzig.
Und? Kam etwas Vernünftiges bei Ihren Überlegungen heraus? Oder waberten in der vergangenen Minute Schlagwörter (Berlin, Brüssel, irgendwas mit Wahlen, Macht, Gewaltenteilung, Grundrechte, Kreistag, Subsidiaritätsprinzip, Verfassungstreue, Staatswesen, Gesetzgebung) unsortiert durch Ihren Kopf? Womöglich unternahmen Sie in der vergangenen Minute auch einen Streifzug quer durch die Parteienlandschaft. Oder Sie sahen vor Ihrem geistigen Auge Politikerinnen und Politiker, wie sie sich bei Lanz oder Miosga vor der Fernsehöffentlichkeit zanken.
Was ist Politik?
Wenn Ihnen keine gute Erklärung für Politik einfiel, sollten Sie sich keine Vorwürfe machen. Politik ist ein Hyperobjekt, das uns permanent umgibt, und gerade diese Omnipräsenz macht es so schwer, Politik begrifflich zu erfassen. Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Natürlich gibt es gute Definitionen von Politik. Jetzt, wo Google und Wikipedia wieder erlaubt sind, lassen sie sich auch leicht finden. Eine Erklärung lautet: Politik ist ein gesellschaftlicher Prozess, in dem unterschiedliche Akteure untereinander ausverhandeln, wer innerhalb unseres Staatswesens heute welche Ressourcen nutzen darf und wem morgen welche Möglichkeiten offenstehen.
Regeln für unser Zusammenleben
Für Robert Kläsener, Referent für politische Bildung bei der Kommende Dortmund, dem Sozialinstitut des Erzbistums Paderborn, ist diese Definition von Politik zwar inhaltlich halbwegs richtig, aber für eine Anwendung in der Praxis noch deutlich zu sperrig. Das Gedankenexperiment, was Politik eigentlich bedeutet, führt er häufiger mit bildungsbenachteiligten Jugendlichen aus dem Ruhrgebiet durch – ihre häufigste Antwort lautet übrigens „Was mit Wahlen.“ Aufgrund seiner Arbeit mit den Jugendlichen ist Kläseners Erklärung von Politik sehr viel einfacher und klarer: „Politik ist die Fähigkeit einer Gesellschaft, Probleme zu erkennen und dafür Lösungen anzubieten.“ Oder noch kürzer: Politik macht die Regeln für unser Zusammenleben.
Veränderung durch einen politischen Prozess
Kirche blickt auf den Rand der Gesellschaft
Damit junge Menschen in ärmeren Quartieren des Ruhrgebiets politisch sprachfähig werden und mitreden können, ist die Kommende Dortmund mit ihren Angeboten dort besonders aktiv.
Mit seinen Workshops ist Robert Kläsener überall in Ruhrgebietsschulen aktiv und kennt natürlich die Bedeutung der Autobahn A40 als sozialer Ruhrgebietsäquator. Wer durch die Geburtslotterie südlich davon zur Welt gekommen und aufgewachsen ist, findet in der Regel gute Bildungschancen vor. In den wohlsituierten südlichen Stadtvierteln der Stadt Essen etwa machen mehr als drei Viertel der Jugendlichen Abitur. Genau umgekehrt sieht das Verhältnis von Abiturientinnen und Abiturienten und Nicht-Abiturientinnen und Nicht-Abiturienten in den Quartieren nördlich der A40 aus. Dort liegt der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die das Abi machen, bei unter einem Viertel. Fleiß, Intelligenz oder Talent sind ganz sicher nicht derart ungleich verteilt. Bildungsungerechtigkeit hat vielmehr soziale Ursachen.
Wo der Bedarf am größten ist
An Schulen in den ärmeren Vierteln und Quartieren ist die Kommende Dortmund mit ihren Angeboten in der politischen Bildung besonders aktiv, denn dort ist der Bedarf am größten. Als kirchlicher Bildungsträger ist das katholische Sozialinstitut des Erzbistums Paderborn anders als profitorientierte Bildungsträger frei von Gewinnabsichten. „Die mittellosen Jugendlichen an den Brennpunktschulen werden durch uns erreicht oder gar nicht“, erklärt Diplom-Theologe Robert Kläsener. „Das entspricht auch dem sozialethischen Auftrag als Kirche, an den Rand der Gesellschaft zu blicken. Wir sind der Anwalt derjenigen, die übersehen werden oder sich Bildung jenseits von Schule nicht ‚leisten‘ können.“