Im Angesicht der Bedrohung

Ein Weckruf für Solidarität und mehr Bildung

Die furchtbaren Ereignisse von Halle erschüttern uns zutiefst. Seit den Verbrechen des Nationalsozialismus ist es in Deutschland bis heute immer wieder zu antisemitischen Gewalttaten, Anschlägen und Morden gekommen. Dass ein Rechtsextremist nun am helllichten Tag ungehindert Jagd auf jüdische Bürgerinnen und Bürger machen kann, stellt jedoch eine neue, abscheuliche Dimension des Antisemitismus dar, die uns mit großer Sorge, aber auch mit Wut und Empörung erfüllt.

Mit großer Betroffenheit, in tiefer Trauer und mit aufrichtiger Anteilnahme stehen wir fassungslos vor solchem Hass. Mit unseren Gebeten und in unseren Gedanken sind wir bei den Opfern, ihren Angehörigen und Freunden. Zugleich erklären wir unsere uneingeschränkte Solidarität und unser Mitgefühl mit den jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, die wegen dieser Ereignisse zurecht schockiert und empört sind.

Antisemitismus und andere Formen des Rechtsextremismus sind ein strukturelles, tief in der Gesellschaft verwurzeltes Problem, kein plötzlich auftretendes oder von Einzeltätern zu verantwortendes Ereignis. Antisemitismus beginnt lange vor körperlicher Gewalt, lange vor physischer Verletzung oder gar Mord. Antisemitismus beginnt viel früher -  bei Worten und Gesten, in Liedern und Witzen, an Stammtischen, im Bus, unter Arbeitskolleginnen und -kollegen, im Fußballstadion, in Parlamenten, in Schulen und anderswo. Antisemitismus beginnt, wenn jüdische Bürgerinnen und Bürger als „anders“ herabgewürdigt und ausgegrenzt werden, wenn sie beleidigt und ihre Rechte verletzt werden, wenn verbalen Verleumdungen nicht klar und eindeutig widersprochen, religiöse Gefühle verunglimpft und Menschen wegen ihrer Religionszugehörigkeit ihre Menschenwürde abgesprochen werden kann, ohne dass dies ernsthaft verfolgt und strafrechtlich geahndet wird.

Die Ereignisse von Halle zeigen, leider nicht zum ersten Mal, wie wichtig und unverzichtbar eine qualifizierte und differenzierte politische Bildungsarbeit ist. Sie macht sensibel für die großen und kleinen, für die offensichtlichen und die versteckten Anzeichen von Antisemitismus, Rassismus, Menschenfeindlichkeit und anderen Formen von Ausgrenzung. Sie befähigt Menschen, gegen jede Art von Rechtsextremismus und Antisemitismus einzuschreiten und sich aktiv für Demokratie, Menschenwürde und Solidarität einzusetzen.

Als Bildungsträger, die sich seit langem in der politischen Bildungsarbeit für Jugendliche und Erwachsene engagieren, fordern wir deshalb: Die Bildungsangebote für Demokratie und Menschenwürde müssen nachhaltig ausgebaut werden. Entsprechende Träger, Programme und Maßnahmen müssen intensiver als bisher gefördert werden! Denn Bildungsarbeit für Demokratie und Menschenwürde ist das Rückgrat einer offenen und solidarischen Gesellschaft.

Dortmund - Nürnberg, 10.10.2019

Siegfried Grillmeyer - Claudio Ettl – Martin Stammler (KDM – Nordbayern / Akademie CPH, Nürnberg)
Peter Klasvogt (Kommende Dortmund / Katholische Akademie Schwerte)