Tagungshaus
Wie kann Arbeit für Geringverdienende attraktiver werden – und welche Reformen braucht es, um Hürden bei der Arbeitsaufnahme abzubauen? Diese Fragen standen im Zentrum des Kommende-Forums am Montag, den 17. November 2025, im Sozialinstitut Kommende Dortmund. Unter dem Titel „Arbeit muss sich mehr lohnen!“ diskutierten Prof. Dr. Georg Cremer, früherer Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes, und Prof. Dr. Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts a. D.
Bürgergeld-Debatte: „Vergleich führt oft in die Irre“
Gleich zu Beginn plädierte Georg Cremer für mehr Sachlichkeit in der aufgeheizten Debatte um das Bürgergeld. Häufig werde das Einkommen einzelner Erwerbstätiger direkt mit dem Bürgergeld verglichen. „Solche Rechenbeispiele greifen zu kurz und führen häufig in die Irre“, so Cremer, da in solchen Vergleichen übersehen werde, dass auch Erwerbstätige Wohngeld, Kinderzuschlag sowie gegebenenfalls Kindergeld zusätzlich zum Lohn erhalten.
Cremer zeigte auf, dass das derzeitige Sozialsystem bei Familien und Alleinerziehenden dazu führt, dass diese bei einem Bruttoeinkommen zwischen 3.000 und 5.000 Euro netto kaum mehr Geld zur Verfügung haben, weil Kinderzuschlag und Wohngeld abgeschmolzen werden. „Ein höherer Mindestlohn würde die Lage entspannen, aber der lässt sich nicht beliebig erhöhen“, so Cremer. Er forderte zudem eine offenere Diskussion über die finanzielle Ausgestaltung des Sozialstaats: „Wenn wir Sozialleistungen erhöhen wollen, müssen wir auch ehrlich darüber sprechen, wie dies solide finanziert werden kann.“ Solche Entscheidungen erforderten politische Prioritäten – und seien nicht allein technisch lösbar.
Minijobs unter Druck: Schlegel fordert Reformen
Rainer Schlegel nahm insbesondere die Rolle der Mini- und Midi-Jobs in den Blick. Die Möglichkeit, sich bei Minijobs von der Rentenversicherungspflicht befreien zu lassen, führe bei Beschäftigten langfristig zu Altersarmut – gesellschaftlich könne dies kaum erwünscht sein.
Auch andere Besonderheiten, etwa die Abgabenfreiheit des ersten Minijobs neben einer gut bezahlten Hauptbeschäftigung, entsprächen nicht den landläufigen Gerechtigkeitsvorstellungen und gehörten abgeschafft. Schlegel forderte daher eine umfassende strukturelle Reform, die Minijobs – außer gegebenenfalls für Schüler:innen und Studierende – in reguläre Beschäftigungsverhältnisse überführt. Im Verlauf der Diskussion wurde zudem deutlich, dass der Sozialstaat nicht sämtliche gesellschaftlichen Krisen oder gar Klimakatastrophen kompensieren könne und auch an Grenzen stoße.
Appell für eine ehrliche, lösungsorientierte Sozialdebatte
Zum Abschluss plädierte Dr. Andreas Fisch, der als Referent für Wirtschaftsethik die Veranstaltung moderierte, gemeinsam mit den Referenten für einen sozialpolitischen Diskurs, der weder auf Alarmismus noch auf Schönfärberei setzt. „Wir brauchen eine Debatte, die anerkennt, was gut funktioniert, und zugleich kritisch beleuchtet, wo Reformen notwendig sind“, so Fisch. Mit Projekten der Kommende-Stiftung beneVolens, die sich für sozial benachteiligte Jugendliche in Dortmund einsetzt, und der Themensetzung im Fachbereich Wirtschaftsethik werden diese Fragen auch 2026 weiterbearbeitet – etwa beim Thema „Steuergerechtigkeit“ beim Kommende-Forum am 19. Februar 2026.