03.10.2025

„Was uns zusammenhält“ – mehr als nur ein Feiertag

35 Jahre nach der Wiedervereinigung ist es leicht, in vielen Festakten Erfolg und Misserfolg zu betonen. Schwerer ist es, ehrlich zu fragen: Was hält uns heute wirklich zusammen? Die Kampagne des Erzbistums Paderborn – „Feiern wir, was uns zusammenhält“ – fordert eine Antwort, die über nostalgisches Erinnern hinausgeht.

Zusammenhalt ist kein Besitzstand. Er wächst, wenn Menschen erfahren: Ich werde gesehen, gehört und ernst genommen. Deutsche Einheit ist deshalb nie nur ein politischer Akt von 1990, sondern ein sozialer Prozess, der bis heute anhält. Wo Ungleichheit besteht – zwischen Ost und West, zwischen Arm und Reich – ist Einheit gefährdet. Wer feiern will, muss zugleich hinschauen, wo Menschen abgehängt werden.

Das Sozialinstitut Kommende Dortmund erinnert daran: Einheit braucht Gerechtigkeit. Ökonomische Kluften bei Chancen, Vermögen oder Infrastruktur sind nicht Nebensache, sondern Kernfragen des Zusammenhalts. Solidarität ist mehr als ein Gefühl – sie braucht faire Strukturen. Ohne sie bleibt „Einheit“ eine Worthülse.

Wie schon der Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde in seinem berühmten Diktum postulierte, lebt der Staat von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das gilt auch für die deutsche Einheit: Sie lebt von Vertrauen, Rücksicht auf vergangene Erfahrungen und gegenseitiger Anerkennung – Voraussetzungen jenseits staatlicher Macht. Diese Haltungen können nicht verordnet werden, sie müssen eingeübt werden – im Alltag, in Nachbarschaften, Schulen und Betrieben. Wo dieses Fundament erodiert, helfen weder Verfassungsartikel noch Jubiläumsfeiern.

Doch Einheit darf nicht auf nationale Grenzen verengt bleiben. Migration, Klimawandel und digitale Umbrüche stellen uns vor Aufgaben, die wir nur gemeinsam lösen können. Die Erfahrung von 1989/90 zeigt: Wandel ist möglich, wenn Mut, Hoffnung und Perspektivwechsel zusammentreffen. Diese Kraft gilt es heute neu zu mobilisieren – nicht gegen andere, sondern für eine offene, solidarische Gesellschaft.

„Feiern wir, was uns zusammenhält“ – das heißt: die Voraussetzungen der Einheit stärken. Verantwortung übernehmen, wo Spaltungen wachsen. Gerechtigkeit schaffen, wo Chancen fehlen. Und begreifen, dass Einheit und Zusammenhalt nur da tragen, wo Menschen ihn mit Haltung und Überzeugung leben. Erst dann wird der Feiertag mehr als Erinnerung – er wird zum Auftrag.