04.09.2024

Wie völkischer Nationalismus Deutschland beschädigt

Wenn Milizen Terroranschläge verüben, die sich selbst „Islamischer Staat“ nennen, sollte man dafür „den Islam“ anprangern? Hat es nicht einen viel größeren Einfluss, dass Deutschland jahrzehntelang den Kampf gegen die Terrormiliz militärisch durch Waffenlieferungen unterstützt hat? Aus eigener Perspektive kämpft die Terrormiliz „IS“ gegen einen feindlichen Staat. Und die meisten Muslime und Musliminnen sprechen der Terrormiliz den Religionsbezug ab, wenn sie die „IS“ mit dem Kunstwort „DAESH“ bezeichnen. „Am liebsten würde ich den Begriff ‚Antimuslimischer Staat‘ nehmen“, sagte Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Eine sachgerechtere Einordnung verdeutlicht, dass sich Anschläge und Sabotage zwischen Kriegsparteien nicht durch schärfere Waffengesetze oder Restriktionen gegen Flüchtlinge ausschalten lassen. Es braucht Maßnahmen zur Gefahrenabwehr vor feindlichen Staaten. Anhänger des rassistischen Konzepts „völkischer Nationalismus“ missbrauchen solche Terroranschläge, um gegen „den Islam“ zu hetzen, verschleiern aber damit den tatsächlich notwendigen Handlungsdruck.

Befasst man sich vertieft mit der Kriminalitätsstatistik, dann belegt eine differenzierte Analyse der vielen unterschiedlichen Gruppen von Menschen mit Migrationsgeschichte, dass es nur wenige Gruppen gibt, die bei einem fairen Vergleich mit Deutschen in vergleichbarer sozialer Lage überdurchschnittlich kriminell sind. Völkisch Nationale scheuen schon deshalb die genaue Analyse, weil sie vielen Menschen mit Migrationsgeschichte eine „saubere Weste“ bescheinigt. Einige Kriminelle leben zudem gar nicht in Deutschland, sondern kommen eigens, um Straftaten zu begehen. Auch das stört die völkisch-nationale Ideologie, weil völkisch Nationale Stimmung gegen die hier lebende Bevölkerung machen wollen. Integrationsmaßnahmen und eine Arbeitserlaubnis sind Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung. Nur wollen völkisch Nationale aus ideologischen Gründen Kriminalität nicht mit diesen Mitteln bekämpfen.

Vergleichbares ließe sich zu fast allen Themen des völkischen Nationalismus darlegen. Durch ihre Pauschalisierungen verletzen deren Parteien nicht nur die Menschenwürde anderer und säen aus Eigennutz Zwietracht zwischen den Menschen, sondern sie beschädigen auch die sachgerechte Suche nach wirklichen Lösungen, indem sie das eigentliche Problem oft bis zur Unkenntlichkeit verschleiern. Denn wer pauschal alle Menschen mit Migrationshintergrund unter Generalverdacht stellt, kommt gar nicht dazu, wirklich auffällige Gruppen von Kriminellen zu identifizieren. Wer soziale Problemlagen, geopolitische Auseinandersetzungen mit Terrormilizen und alles Mögliche einzig auf die Religion reduziert, wer mit der Verwendung der Selbstbezeichnung „Islamischer Staat“ ungewollt Propaganda für das Selbstbild der Terrormiliz macht, legt die Aufmerksamkeit fast immer auf Scheinprobleme statt scharf zu analysieren.

Eine weitere Folge einer zunehmend völkisch-nationalen Sicht auf viele Zustände ist diese: Wenn der öffentliche Diskurs über echte und vermeintliche Probleme zunehmend populistisch geführt wird, erschwert dieser eine sinnvolle und differenzierte Politik. In gewisser Weise lassen sich die anderen Parteien, von der Opposition bis zu den Regierungsparteien, darauf ein, populistische Maßnahmen aufzugreifen, um dem völkischen Nationalismus den Wind aus den Segeln zu nehmen (was noch nie funktioniert hat!). Was dabei auf der Strecke bleibt, ist eine differenzierte, sachgerechte und lösungsorientierte Politik, die diesem Land wirklich guttäte.

Literaturempfehlung zum Thema: Zuflucht - Zusammenleben - Zugehörigkeit? Kontroversen der Migrations- und Integrationspolitik interdisziplinär beleuchtet (Reihe Forum Sozialethik 18), hg. von Andreas Fisch, Myriam Ueberbach, Prisca Patenge, Dominik Ritter, Münster: Aschendorff Verlag, 2019